AmCham Germany-Präsident Mattes über den US-Wahlkampf und den Wirtschaftsstandort Deutschland

Ein Gastkommentar von Bernhard Mattes im "Palais Biron"

19. Juli 2016 - Am 8. November 2016 wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Die Vorwahlen im US-Bundesstaat Indiana und die Aussetzung der Kampagnen der republikanischen Kandidaten Ted Cruz und John Kasich haben es jetzt fast sicher entschieden: Bei der Präsidentschaftswahl werden die Amerikaner entweder die Demokratin Hillary Clinton oder den Republikaner Donald Trump ins Weiße Haus wählen. Dabei war das republikanische Rennen um die Kandidatennominierung von Anfang an deutlich wechselhafter als das demokratische Gegenüber: Während aus dem Dreikampf Martin O'Malley, Bernie Sanders und Hillary Clinton schnell ein Zweikampf wurde, beherrschten lange 17 Kandidaten das republikanische Feld. Etablierte Politiker, denen von vielen Beobachtern große Chancen eingeräumt wurden - Jeb Bush, Chris Christie, Scott Walker - blieben von Anfang an hinter den Erwartungen und ihren Kontrahenten zurück. Hingegen sticht immer wieder der Immobilienmogul und Reality-TV-Star Donald Trump heraus - und das, obwohl er von vielen Amerikanern als nicht wählbar angesehen wurde und wird: regelmäßige verbale Ausfälle gegen Minderheiten, Frauen und Menschen mit Behinderung, ein fehlender programmatischer Unterbau seiner Forderungen, rassistisch motivierte Tumulte während seiner Wahlkampfauftritte und inhaltliche Widersprüche in seinen Aussagen sind dabei nur traurige Spitzen seiner bisherigen Auftritte. Während in den Vereinigten Staaten der Wahlkampf vollständig entbrannt ist, blicken viele Europäer verwundert über den Atlantik und fragen sich, wie es insbesondere umstrittenen Kandidaten wie Donald Trump gelingt, im Wahlkampf so viel Zustimmung zu erhalten.

Europäer sind verwundert über den ideologischen Wahlkampf in den vereinigten Staaten

Der starke Fokus auf Personen und Persönlichkeiten, die Charakterisierung der beiden Parteien als big tents - die thematisch sehr breite Ausrichtung, um möglichst viele Wähler unter ihrem Dach zu vereinen - sowie das System der Vorwahlen mit Wahlmännern, Caucuses und Primaries, haben daran sicher ihren Anteil. In den Vorwahlen sind ideologische Wähler besonders aktiv. Für die Kandidaten gilt es daher zu überzeugen und tendenziell striktere Positionen zu vertreten.

Nach der Nominierung müssen beide Kandidaten zwangsläufig inhaltlich und rhetorisch moderater werden - denn Wahlen werden auch in den USA immer noch in der Mitte der Gesellschaft entschieden. Aktuelle Umfragen bestätigen dies: 42 Prozent der Wähler bezeichnen sich als independents - sie sind weder registrierte Demokraten noch Republikaner und somit jene Wechselwähler, die es für den Sieg zu gewinnen gilt.

Sind diese notwendige Lagerbildung und Vereinfachung von Wahlbotschaften eine entscheidende Rahmenbedingung für den bisherigen Wahlverlauf, ist die gesellschaftliche Polarisierung in den USA eine treibende Komponente. Insbesondere "Anti-Politiker" wie der demokratische Bewerber, Bernie Sanders, oder der Republikaner Trump profitierten von diffusen Ängsten der amerikanischen Bürger vor Globalisierung, Einwanderern und einhergehenden Veränderungen, sozialen Abstiegssorgen und einer wachsenden Enttäuschung über die Arbeit der gewählten Volksvertreter. Wie das Marktforschungsinstitut Gallup belegt, bewegen sich die Zustimmungsraten zur Arbeit des Kongresses bereits seit Jahren im niedrigen zweistelligen Bereich. Mehr als drei Viertel behaupten, wirtschaftlich schlechter dazustehen als vor vier Jahren und einen pessimistischen Blick in die Zukunft zu haben. Eine bis vor kurzem relativ hohe Arbeitslosenquote, eine schwächer werdende Mittelschicht und eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich prägen den gesellschaftlichen Diskurs. Viele Amerikaner haben Angst vor diesem Wandel und verweigern sich etablierten Politikern.

Viele Amerikaner haben Angst vor Wandel und verweigern sich etablierten Politikern

Das Gefühl, von der Politik nicht wahr- oder ernstgenommen zu werden und den verlorenen Glauben an den amerikanischen Traum greift auch Donald Trump in seiner Wahlkampagne auf und gibt bestimmten Wählergruppen das Gefühl, endlich gehört zu werden. Seine bisherige Wählerschaft besteht überdurchschnittlich aus weißen, armen Wählern mit einer unterdurchschnittlichen Bildung. Mit einfachen Botschaften und Versprechungen wie der Aufkündigung von Freihandelsverträgen, der Rückverlagerung von Arbeitsplätzen in die USA sowie einem Einwanderungsstopp für Muslime und illegale Einwanderer beschwört Trump eine scheinbar "gute alte Zeit" herauf, die für einzelne Wählergruppen eine sentimentale Bedeutung hat - selbst wenn sie so niemals existiert hat. Trumps Wahlkampfslogan Make America Great Again nimmt dieses Versprechen auf und impliziert, er könne das heutige "schlechte" Amerika zu alter Größe zurückführen. Das dafür fehlende Programm, die Warnungen vor den vorrangig wirtschaftlichen Konsequenzen seiner Ankündigungen und den oft offenen Rassismus stören weder den Kandidaten noch seine Wähler.

Überlagern die schrillen Töne aus Trumps Lager oft die Berichterstattung, sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Donald Trump in der republikanischen Partei als umstritten gilt. Umfragen deuten ebenso mehrheitlich auf die Chancenlosigkeit eines Kandidaten Trump gegen eine Kandidatin Clinton hin, die einen realpolitischen und wirtschaftlichen Ansatz verfolgt.

Das Phänomen der Begeisterung für einfache Botschaften lässt sich auch nicht alleine den Amerikanern zuschreiben. Auch in Europa sind Rechtspopulisten wie die österreichische FPÖ, die niederländische Partei für die Freiheit und die deutsche AfD gut darin, komplexe Ängste der Bevölkerung aufzugreifen und vermeintlich simple Lösungen anzubieten. Während in Europa die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Parteien bereits begonnen hat, muss sich auch die amerikanische Gesellschaft und allen voran die Republikanische Partei mit diesen Entwicklungen zukünftig intensiv beschäftigen.

Die USA sind Deutschlands wichtigster Handelspartner und sichern 330.000 Arbeitsplätze allein im produzierenden Gewerbe

Denn Freiheit, Toleranz und Offenheit sind eng mit der Tradition und Geschichte der USA verknüpft und haben das Land zu politischer und insbesondere wirtschaftlicher Stärke geführt. Insbesondere Europa und Deutschland haben von einer engen Partnerschaft mit den USA profitiert. Die USA sind nicht nur Deutschlands wichtigster Handelspartner, sondern zählen zu den wichtigsten Investoren und sichern knapp 330.000 Arbeitsplätze allein im produzierenden Gewerbe. Deutschland ist für 14 US-Staaten der wichtigste Exportmarkt und US-Unternehmen besitzen einen Kapitalstock in Höhe von 740 Mrd. US-Dollar in Deutschland.

Auch das diesjährige AmCham Germany Business Barometer - eine Umfrage unter US-Tochtergesellschaften am Wirtschaftsstandort Deutschland - unterstreicht die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen. So zeigt das Business Barometer, dass die US-Unternehmen in Deutschland 2016 auf Wachstumskurs sind. Das Jahr 2015 war für US-Investoren in Deutschland erfolgreich, und acht von zehn befragten Unternehmen rechnen mit kontinuierlichem Wachstum. Neben einer Ausweitung der Produktion gewinnt dabei vor allem der deutsche Arbeitsmarkt: 35 Prozent der Unternehmen planen, die Zahl der Beschäftigten zu erhöhen. Aber auch langfristig profitiert Deutschland von der Präsenz der amerikanischen Firmen und umgekehrt: Gut die Hälfte der befragten Konzerne möchte in den kommenden drei bis vier Jahren ihre Aktivitäten in Deutschland ausbauen und senden damit ein wichtiges Signal an andere ausländische Investoren.

Gleichzeitig bescheinigen führende Manager Deutschland gute bis sehr gute Standortbedingungen. 79 Prozent der von AmCham Germany befragten Unternehmen loben die Wettbewerbsstärke Deutschlands. Allen voran wird die Qualität und Ausbildung der Mitarbeiter geschätzt, dicht gefolgt von den Faktoren Zuliefernetzwerke (93 Prozent), Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung (je 86 Prozent) und potentieller Absatzmarkt (78 Prozent). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der digitalen Transformation: US-Investoren sind zuversichtlich, dass Deutschland den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich vollzieht. Das AmCham Germany Business Barometer zeigt allerdings auch, dass drei Viertel der US-Unternehmen klaren politischen Handlungsbedarf sehen und sich eine deutsche Bundesregierung wünschen, die den Prozess hin zu Arbeit 4.0 noch stärker gestaltet.

Drei Viertel der US-Unternehmen sagen, die Bundesregierung muss mehr für die Arbeit 4.0 tun

Insgesamt ist und bleibt Deutschland für amerikanische und ausländische Investoren ein hoch attraktiver Standort. Diese Attraktivität ist jedoch kein Selbstläufer. Deutschland muss kontinuierlich an seinen Standortbedingungen arbeiten, um seine herausragende Position im globalen Wettbewerb zu behaupten. Auch wenn eine international orientierte Exportwirtschaft wie die deutsche nicht immun vor externen Einflüssen ist, so sind "interne" Standortfaktoren durchaus politisch steuerbar. Modernisierungs- und Verbesserungsbedarf besteht in den Bereichen der klassischen und insbesondere digitalen Infrastruktur, Gründungsfinanzierung, Energie- sowie Arbeitskosten und Unternehmensbesteuerung. Zukünftig werden vor allem Anstrengungen im Bereich der Aus- und Fortbildung für die Industrie 4.0 nötig sein sowie bei den Energiekosten. In einem Land wie Deutschland, dessen wirtschaftlicher Erfolg entscheidend von der Industrie abhängt, muss Energie bezahlbar bleiben. Auch wenn andere Politikfelder im Moment größere Aufmerksamkeit erfordern, dürfen Reformen in diesen wichtigen Punkten nicht vernachlässigt werden.

Gleichzeitig gilt es, die transatlantischen Beziehungen politisch und wirtschaftlich zu stärken. Die geführten Verhandlungen um eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) bieten diese Chance. Trotz der aktuellen Diskussion und widersprüchlicher Signale aus den Reihen der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber muss Europa gemeinsam mit der US-Regierung, weiter daran arbeiten, ein umfassendes Abkommen auszuhandeln. Deutschland und die USA stehen exemplarisch für den Erfolg von Wettbewerb, offenen Märkten und pluralistischen Werten. Eine wichtige Aufgabe wird es deshalb bleiben, den Bürgern und Bürgerinnen auf beiden Seiten des Atlantiks die Vorteile von globalem Handel und Investition aufzuzeigen. Dies gilt nicht nur für das TTIP-Abkommen, sondern auch auf dem Weg in eine zunehmend vernetzte Welt. Nur so kann ein vorwärtsgewanderter und optimistischer Diskurs in der Gesellschaft über Wirtschaft und Wohlstand angestoßen werden. Denn wir können Veränderungen nicht aufhalten, aber wir können diese aktiv und in unserem Sinne gestalten.

Über Palais Biron

Erschienen im Palais Biron, NR. 23, Sommer 2016, https://www.bbug.de/de/info/publikationen.php

Palais Biron ist das Magazin der Baden-Badener Unternehmensgespräche. Die Baden-Badener Unternehmensgespräche sind eine der traditionsreichsten Institutionen für Nachwuchsführungskräfte in der deutschen Wirtschaft.

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