"Wir mussten lernen, gesund und nicht wild zu wachsen"

Interview mit Anna Alex von Outfittery über Wachstum / AmCham Germany Growth Company Forum 2016
copyright: Sergey Nivens shutterstock
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Interview Anna Alex mit Christina Casalla, erschienen auf deutsche-startups.de am 10. Oktober 2016

Am 12. Oktober findet wieder das Growth Company Forum statt. Anna Alex, Mitgründerin von Outfittery, gibt auf der Veranstaltung einen Einblick in das rasante Wachstum ihres Unternehmens. deutsche-startups.de konnte die Wachstumsexpertin vorab zum Interview treffen. "Wir mussten lernen, gesund und nicht wild zu wachsen, und genau planen, wie ein Team strukturiert sein sollte. Deshalb haben wir uns im letzten Jahr viel mit Prozessen auseinandergesetzt, haben neue Systeme implementiert, um stabiler zu werden", sagt Alex.

Was ist Eure Vision?

Wir haben unsere Vision noch lange nicht erreicht, sondern wollen noch sehr viel weiter. Unsere Vision ist, die relevanteste Einkaufserfahrung für unsere Kunden bieten. Warum ist Relevanz so wichtig? Mein Großvater beispielsweise hatte noch seinen Herrenausstatter, der kannte ihn mit Namen und wusste genau, welche Mode ihm gefällt. Daher wäre mein Opa nie zu einem anderen Laden gegangen. Das war eine einzigartige Erfahrung. Dann aber kamen die Otto-Kataloge, das Internet und der E-Commerce. Darin hier es für eine lange Zeit galt: "Mehr ist besser", aber das ist vorbei. In unseren Märkten geht es mittlerweile wieder um Relevanz. Diese wollen wir im Kleidungskauf schaffen. Wir werden erst glücklich sein, wenn wir alle Männer Europas und darüber hinaus mit unserem Service begeistern. Wir streben den globalen Roll-out an.

Als ihr vor vier Jahren gestartet seid, wie sehr habt ihr mit der Schnelligkeit bzw. dem Wachstum Eurer Firma gerechnet?

So richtig vorstellen konnte man sich das nicht. Wir kamen zwar aus der Rocket-Welt und das war eine gute Schule für und, da wir dort die Angst vor Schnelligkeit verloren haben. Sowohl meine Mitgründerin Julia Bösch sowie ich hatten bereits bei Rocket einen starken E-Commerce-Fokus. Dennoch so richtig vorgestellt? Nein, das haben wir nicht und das ist vielleicht auch ganz gut so. In der Unternehmensgründung ist eine gesunde Naivität vielleicht sogar ganz gut. Denn wenn wir von all den Schwierigkeiten gewusst hätten, die sich einem überall in den Weg stellen, dann wären wir wahrscheinlich nie gestartet. Keine Vorstellung zu haben von dem, was da kommen mag, ist eine gute Eigenschaft von Gründern. Es hilft dabei, Dinge auch einfach mal anders zu machen, als branchenüblich. Man würde sich nicht trauen, wüsste man, dass manche Prozesse normalerweise anders laufen. Wir jedoch haben Dinge sehenden Auges und ohne Vorwissen einfach anders gemacht, weil wir merkten, dass etliches aus Kundensicht gar keinen Sinn macht. Wir haben uns einfach nicht abhalten lassen.

Hat man diesen Blick nach vier Jahren immer noch?

Wir sind immer noch ein sehr innovatives Konzept. Das sieht man auch daran, dass wir von vielen Seiten kopiert wurden, eine Art Ritterschlag für uns. Wie wir es jetzt schaffen, innerhalb der Firma innovativ zu sein, ist eine andere Frage. Aber in der Hinsicht sind wir sehr offen. Wir arbeiten nach dem OKR Prinzip, das auch bei Google tief verwurzelt ist und Mitarbeiter stark in die Unternehmenskultur einbezieht. Solche Methoden helfen uns sehr, uns immer wieder neu zu erfinden und uns zu hinterfragen. Ich finde es dann auch nicht schmerzhaft, von den eigenen Mitarbeitern kritisiert zu werden. Schließlich können wir längst nicht alles wissen, daher ist es hilfreich, kritisches Feedback von den Mitarbeitern zu bekommen. Man muss das als Geschenk sehen, denn nur so habe ich die Möglichkeit, mich und die Firma weiterzuentwickeln.

Wie kann man sich als Gründer auf diese Reise vorbereiten?

Einige Wochen Urlaub vor Start können nie schaden, um Dinge im Vorfeld noch einmal zu regeln, für die hinterher keine Zeit mehr ist. Uns hat beispielsweise unser Netzwerk sehr gut geholfen. Wir wussten beispielsweise, wen wir fragen konnten, als wir unsere ersten Boxen ausliefern wollten, aber noch nicht wussten, welche Pappe man dafür verwenden soll. So konnten wir das Problem schnell lösen. Ansonsten folge ich dem Spruch: "move your ass and your mind will follow." Man muss springen, der Rest folgt dann.

Wie geht man persönlich damit um, die Geschwindigkeit auszuhalten?

Jede Phase im Unternehmen hat ihren eigenen Reiz, ihren Charme. Daher würde ich nie sagen, dass es anstrengend im negativen Sinne ist. Mir ist es wichtig, immer wieder mal rauskommen, um Dinge von oben zu sehen und mich zu fragen, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Das kann man nicht, wenn man immer nur am Schreibtisch sitze. Ich kann das immer ganz gut, wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, denn er zwingt mich, rauszugehen. Ihm sind alle meine eMails und Meeting egal. Ich habe keine Angst vor der Geschwindigkeit des Wachstums. Aber wir planen schon sehr genau.

Wachstum bedeutet auch immer ein Stück weit Wachstumsschmerzen. Was waren Eure?

Wir mussten lernen, gesund und nicht wild zu wachsen, und genau planen, wie ein Team strukturiert sein sollte. Deshalb haben wir uns im letzten Jahr viel mit Prozessen auseinandergesetzt, haben neue Systeme implementiert, um stabiler zu werden. Einen persönlichen Service zu skalieren, ist von Prozess-Seite schon sehr komplex. Wir hatten z.B. Probleme rund um Warenlieferungen, so dass wir plötzlich die Kleidung im Büro stehen hatten statt im Lager. Es ist ganz normal, dass es nicht immer rund läuft, wenn man eine Firma baut. Aber man muss schnell sein, um Prozesse anzupassen. Man darf keine Angst vor Fehlern haben, man muss sie sich nur eingestehen und Dinge beim nächsten Mal besser machen. Der enge Kundenkontakt hilft uns dabei sehr.

Fallen einem als Gründer immer wieder die gleichen Fehler auf die Füße, oder kann man sich darauf irgendwann einstellen?

Teilweise kann man es voraussehen, weil wir ein gutes Gespür für die Firma haben, und auch unser Team sehr genau kennen, aber es gibt natürlich immer wieder Überraschungen, an die man nicht gedacht hat. Jetzt seid ihr 300 Mitarbeiter - wie gut kann man da sein Team noch kennen? Ja, das geht. Die Unternehmenskultur mussten wir hierfür selbst entwickeln. Ich treffe mich in kleinen Teams zum Mittag essen oder wir organisieren ein gemeinsames Frühstück mit uns beiden Gründerinnen - alles ganz ohne Meeting-Agenda. Zusätzlich haben wir wöchentlich ein Treffen mit allen 300 Mitarbeitern. Das ist uns sehr wichtig, denn darin bekommt jeder einen guten Überblick über das was wir tun und wo wir stehen. Zudem haben wir unseren Mitarbeitern versprochen, immer einen vollen Kühlschrank mit Bier zu haben. Wir verlangen viel, wir geben aber auch viel. Wir sind dabei aber auch gleichzeitig offen für Kritik und Vorschläge, wie man etwas ändern kann. Ich möchte ein Team, das motiviert ist, gemeinsam mit uns die Firma aufzubauen. Wir sehen uns immer noch als Start-up - viel Veränderungsenergie, flache Hierarchien.

Verändert sich aus der Position, wenn man mitten in der Wachstumsphase ist, der Umgang mit Investoren?

Man bekommt natürlich ein wenig Routine, aber in den unterschiedlichen Phasen des Unternehmens spricht man ja auch mit unterschiedlichen Investoren. Wir hatten jetzt das Glück, dass wir von Beginn an gute Investoren hatten, die nach wie vor dabei sind und ein gutes Zeichen für weitere Investoren sind. Wir haben Investoren, die uns sehr unterstützen und sind sehr glücklich mit der Wahl. Wir waren froh, uns aussuchen zu können, mit wem wir zusammenarbeiten können. Aber klar, nach wir vor geht es den Investoren um die Vision und der Frage "wo wollen wir hin?". Da reden uns auch die Geldgeber nicht rein. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, ist nach wie vor immer noch die Frage nach dem Team. Dieser Aspekt ist Investoren auch jetzt immer noch sehr wichtig! Geldgeber wollen immer wissen, ob die Leute auch gut genug sind, ein Unternehmen weiter nach vorne zu bringen.

https://www.deutsche-startups.de/2016/10/10/wir-mussten-lernen-gesund-und-nicht-wild-zu-wachsen/

Über das Growth Company Forum

Das Growth Company Forum wurde 2014 anlässlich der Gründung des AmCham Germany Entrepreneurship Committee (Ausschuss für Unternehmertum) ins Leben gerufen. Das Committe hat es sich zur Aufgabe gemacht, Maßnahmen zur Verstärkung der Startup-Szene am Standort Deutschland zu diskutieren, eine Kultur der Risikobereitschaft statt Fehlervermeidung zu fördern und Möglichkeiten der transatlantischen Zusammenarbeit bei der Förderung von innovativen Geschäftsideen darzulegen.

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